Ein Mönch, der einen Asylsuchendenden im Dublinverfahren aus Glaubens- und Gewissensgründen in seine Abtei aufnimmt und ihn bis zum Ablauf der Überstellungsfrist mit Kost und Logis unterstützt macht, sich nicht wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt strafbar. Das Bayerische Oberlandesgericht hat diese und weitere Fragen in einer Entscheidung vom 25.02.2022, Aktenzeichen 201 StRR 95/21 beantwortet.
Ein Asylsuchender aus dem Nahen Osten mit ungeklärter Staatsangehörigkeit hatte am 22.04.2020 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Zuvor war er auf der Durchreise nach Deutschland in Rumänien registriert worden. Mit Bescheid vom 12.05.2020 war der Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge („BAMF“) als unzulässig abgelehnt worden und es war die Abschiebung nach Rumänien angeordnet worden. Der Asylsuchende hatte die bayerische Härtefallkommission angerufen, die ebenfalls negativ entschied. Ab dem 25.08.2020 gewährte ein Benediktinermönch aus der Abtei Münsterschwarzach dem Mann sogenanntes Kirchenasyl in den Räumlichkeiten des Benediktinerordens. Der Orden hatte auch davor bereits anderen Asylsuchenden Kirchenasyl gewährt, denen eine Rücküberstellung nach Rumänien, Bulgarien oder Ungarn drohte, da es nach Überzeugung der Mönche auf der Balkanroute immer wieder zu massiver körperlicher Gewalt gegen Flüchtlinge kommt. Noch am selben Tag der Aufnahme ins Kirchenasyl hatte der Mönch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entsprechend einer öffentlich nicht zugänglichen Vereinbarung zwischen BAMF und katholischer und evangelischer Kirche dem BAMF mitgeteilt, dass er den jungen Mann in der Abtei ins Kirchenasyl aufgenommen hatte.
In diesem zwischen Kirchen und BAMF nichtöffentlich vereinbarten „Dossierverfahren“ prüft das BAMF, ob die Bundesrepublik Deutschland nicht ausnahmsweise von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung Gebrauch macht und das Asylverfahren in Deutschland durchführt. Am 12.10.2020 entschied das BAMF, dass die Bundesrepublik Deutschland das Selbsteintrittsrecht nicht ausüben werde und setzte dem Mann eine Frist zum Verlassen des Kirchenasyls bis zum 15.10.2020. Der Mann blieb jedoch bis Dezember 2020 im Kirchenasyl der Abtei, bis die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin-III-Verordnung am 12.11.2020 abgelaufen war und somit die Bundesrepublik Deutschland für die Bearbeitung seines Asylantrags zuständig geworden war. Der Mönch hatte im Verfahren geltend gemacht, dass er es nicht mit seinem Gewissen hätte vereinbaren können, dem Mann in der Abtei nicht weiter Unterkunft und Verpflegung zu gewähren, da dieser sonst Gefahr gelaufen wäre, nach Rumänien abgeschoben zu werden.
Am 05.02.2021 beantragte die Staatsanwaltschaft Würzburg den Erlass eines Strafbefehls gegen den Mönch wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Das Amtsgericht Würzburg sprach den Mönch frei, da es der Auffassung war, dass dieser aus christlicher Überzeugung gehandelt habe. Diese Gewissensnot stelle in Anwendung des Grundrechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einen Entschuldigungsgrund dar. Gegen den Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Sprungrevision zum Bayerischen Oberlandesgericht ein.
Mit Urteil vom 25.02.2022 wies das Oberlandesgericht die Sprungrevision jedoch zurück und bestätigte den Freispruch des Amtsgerichts Kitzingen. Weder im Zeitraum vom 25.08.2020 bis zum 12.10.2020, d.h. während des Dossierverfahrens noch im Zeitraum vom 13.10.2020 bis zum Ablauf der Überstellungsfrist am 12.11.2020 liege ein strafbares Verhalten des Mönches vor. Im ersten Zeitraum vom 25.08.2020 bis 12.10.2020 während des Dossierverfahrens fehle es an einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat des Flüchtlings, da dieser sich während des Verfahrens nicht illegal in Deutschland aufgehalten habe. Im Zeitraum der Durchführung des Dossierverfahrens bestünde für den Asylsuchenden ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG aufgrund des Abschiebehindernisses der rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung. Solange ein Anspruch auf Erteilung der Duldung besteht, hält ein Asylsuchender sich auch nicht illegal in Deutschland auf.
Im zweiten Zeitraum vom 13.10.2020 bis zum 12.11.2020, nach Ende des Dossierverfahrens bis zum Ablauf der Überstellungsfrist habe sich der junge Mann zwar wegen unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht, da in diesem Zeitraum kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung bestanden habe. Beim Mönch liege jedoch auch in diesem Zeitraum kein strafbares Verhalten vor, da für den Mönch keine Rechtspflicht zum Beenden des Kirchenasyls bestanden habe und das kostenfreie Gewähren von Kost und Logis als Unterlassen zu werten sei. Es habe keine Rechtspflicht des Mönches bestanden, den jungen Mann nach negativem Abschluss des Dossierverfahrens aus der Abtei zu werfen. Es könne offenbleiben, ob das reine humanitäre Gewähren von Verpflegung schon keine tatbestandsmäßige Beihilfehandlung sei, weil rein humanitäre Hilfeleistungen lediglich der Verhinderung menschenunwürdiger Existenz dienen würden und nicht der Vertiefung eines unerlaubten Aufenthalts. Vorliegend komme es darauf an, ob es sich beim Gewähren des Kirchenasyls um ein Tun oder ein Unterlassen handele. Nach der Rechtsprechung des BGH richte sich dies nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Die Beurteilung des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit sei eine Wertungsfrage. Das Fortführen des Kirchenasyls während eines Zeitraums, in dem der Asylsuchende sich des unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schuldig mache hätte der Mönch nur beenden können, indem er den jungen Mann zum Verlassen der Abtei auffordert und dies eventuell zwangsweise durchsetzt. Somit handelte es sich beim bloßen Fortführen der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung lediglich um ein Unterlassen im Sinne von § 13 StGB.
Eine Beihilfehandlung durch Unterlassen sei im vorliegenden Fall jedoch unmöglich, da es an einer Garantenstellung des Mönches, d.h. einer Rechtspflicht zu handeln gefehlt habe. Eine solche Rechtspflicht ergebe sich nicht durch ein pflichtwidriges Vorverhalten durch Aufnahme des jungen Mannes ins Kirchenasyl. Die Aufnahme sei rechtmäßig im Rahmen des zwischen BAMF und Kirchen vereinbarten Dossierverfahrens erfolgt, dessen Ausgang bei Beginn des Kirchenasyls offen war. Eine Garantenpflicht des Mönches könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Mönch als Mitglied der Benediktinerabtei dazu verpflichtet gewesen wäre dafür zu sorgen, dass in deren Räumlichkeiten keine Straftaten begangen werden. Der Inhaber einer Wohnung hat nach der Rechtsprechung des BGH nicht ohne Weiteres dafür einzustehen, dass in seinen Räumlichkeiten keine Straftaten begangen werden. Um eine Pflicht des Wohnungsinhabers zum Einschreiten zu begründen, müssten besondere Umstände hinzutreten.
Im dritten Zeitraum zwischen Ablauf der Überstellungsfrist und Verlassen des Kirchenasyls habe der Asylsuchende sich nicht illegal in Deutschland aufgehalten, da zu diesem Zeitpunkt die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig war. Somit hielt der junge Mann sich wieder rechtmäßig in Deutschland auf , sodass auch der Mönch sich mangels einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat nicht mehr wegen Beihilfe habe strafbar machen können.