Widerruf einer A1- Bescheinigung ohne Dialog- und Vermittlungsverfahren

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 16.11.2023, Rechtssache C-422/22 entschieden, dass der Träger eines Mitgliedstaats, der eine A1-Bescheinigung erlassen hat und später im Rahmen einer Überprüfung selbst feststellt, dass die Angaben in der A1-Bescheinigung unzutreffend sind, die Bescheinigung ohne Durchführung eines Dialog- und Vermittlungsverfahrens mit Trägern anderer betroffener Mitgliedstaaten widerrufen kann. 

Eine polnische Firma entsandte Arbeitnehmer zu einem zeitlich befristeten Arbeitseinsatz nach Frankreich und beantragte zuvor beim zuständigen polnischen Träger eine sogenannte "A1-Bescheinigung". Eine A1- Bescheinigung legt fest, welches Recht für die betreffenden Arbeitnehmer anzuwenden ist. Der polnische Träger legte hier fest, dass während des Arbeitseinsatzes in Frankreich polnisches Sozialversicherungs-recht anzuwenden sei. Nach Art. 11 der VO (EG) Nr. 883/2004 sind Erwerbstätige immer nur den sozialrechtlichen Vorschriften eines Mitgliedstaats unterworfen. Dies ist in der Regel das Recht des Beschäftigungsorts. Da Art. 12 der VO (EG) Nr. 883/2004 jedoch vorschreibt, dass bei befristeter Auslandsentsendung von bis zu 2 Jahren das Recht des Entsendestaats anwendbar bleibt, wurde in der A1-Bescheinigung das polnische Recht für anwendbar erklärt. 

 

Im Rahmen einer Überprüfung von Amts wegen kam der polnische Träger zu dem Ergebnis, dass die Anwendung der polnischen Rechtsvorschriften nicht gerechtfertigt war und widerrief die A1-Bescheinigung. Hiergegen klagte das betroffene Unternehmen und trug in den gerichtlichen Verfahren vor, der polnische Träger habe ein Dialog- und Vermittlungsverfahren nach Art. 5 der VO (EG) Nr. 987/2009 in Verbindung mit Art. 76 Abs. 6 der VO (EG) 883/2004 mit den französischen Behörden durchführen müssen. Der EuGH entschied, dass die Durchführung eines solchen Dialog- und Vermittlungsverfahren nicht erforderlich gewesen sei, da zwar nach Art. 5 und 6 der VO (EG) Nr. 987/2009 ein Träger, der die Richtigkeit einer A1-Bescheinigung in Zweifel zieht, den ausstellenden Träger ersuchen und um Überprüfung bitten könne oder eine Vermittlung stattfinden könne, wenn die Träger mehrerer Mitgliedstaaten unterschiedliche Meinungen zur Richtigkeit des Inhalts einer A1-Bescheinigung hätten. 

 

Hier sei es aber so gewesen, dass es keine Meinungsverschiedenheit über die Richtigkeit der Bescheinigung mit den französischen Behörden gegeben habe. Der polnische Träger habe selbst festgestellt, dass die Angaben in der Bescheinigung nicht zutreffend gewesen seien. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten aus Art. 4 Abs. 3 EUV gebiete es insoweit einem Träger, eine A1-Bescheinigung zu widerrufen, wenn sie nicht der Wirklichkeit entspricht. Der EuGH entschied daher, dass die Art. 5 und 6 der VO (EG) 987/2009 so auszulegen sind, dass ein Träger eines Mitgliedstaats, der feststellt, dass die Angaben in der A1-Bescheinigung nicht richtig sind, die A1-Bescheinigung ohne Durchführung des Dialog- und Vermittlungsverfahrens widerrufen kann. 

 

 

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